Wie dynamische Tarife deine Zukunft verändern werden

Kathrin Rust gibt im Interview mit energate spannende Einblicke in die Welt der dynamischen Tarife und Energiemanagementsysteme. Der Original-Beitrag ist hier zu finden.

Hannover (energate) – Die alteingesessenen Versorger gehen bislang überwiegend defensiv an dynamische Tarife heran. Dabei bietet das Geschäftsfeld durchaus Chancen, betonte Kathrin Rust im Interview mit energate. Sie ist Geschäftsführerin Deutschland des auf Energiemanagement spezialisierten Unternehmens Solar Manager. Die Geräte könnten so gesteuert werden, dass die Technik nicht leide, führte Rust weiter aus.

energate: Frau Rust, bei einer Anfrage der Stiftung Warentest bei über tausend Versorgern zu dynamischen Tarifen haben nur zwei Dutzend Anbieter geantwortet, obwohl mittlerweile alle Anbieter mit mehr als 100.000 Kunden solche Tarife im Programm haben müssten. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Kathrin Rust: Die Prozesse, die die Versorger für dynamische Tarife aufsetzen müssen, sind nicht zu unterschätzen. Zusätzlich gibt es neue Risiken durch erforderliche Veränderungen in den Beschaffungsstrategien. Viele haben sicherlich auch die Make-or-buy-Entscheidung noch nicht ab- schließend geklärt.

„Chance für unendliche Kundenbindung“

energate: Sind dynamische Tarife aus Ihrer Sicht denn alleine schon ein lohnendes Geschäft für Versorger oder wird erst im Zusammenhang mit Zusatzprodukten – wie Hardware oder Energiemanagementsystemen – ein Schuh

Kathrin Rust: Dynamische Tarife alleine sind aktuell für Energieversorger noch kein spannendes Geschäftsfeld – im Gegenteil verlieren die Versorger ja dafür ggf. vielleicht Kunden aus margenträchtigeren Tarifen. Bezogen auf den reinen dynamischen Tarif wird es meines Erachtens erst lohnend, wenn Tarife zum Beispiel unter Einbeziehung eines Erzeugungsportfolios oder virtuellen Kraftwerkes entwickelt werden. Aber auch heute schon stecken Chancen dahinter – Chancen auf neue Geschäftsfelder, Chancen für unendliche Kundenbindung und Chancen für neue Erlebniswelten für die Kunden.

energate: Die Chance auf unendliche Kundenbindung hört sich verlockend an. Wie kann man diese erreichen?

Kathrin Rust: Möglich wird das in Verbindung mit Energiemanagementsystemen und dazugehörigen gelabelten Energieversorger-Apps. Mit einem Energiemanagementsystem kön- nen Kunden ihre Geräte optimal steuern – sodass sie ohne Komfortverlust möglichst günstig Strom verbrauchen. Dadurch werden die Energieversorger vom reinen Stromlieferanten zum Energiedirigenten im Haus des Kunden. Der Kunde bekommt das Gefühl, dass sich der Energieversorger darum kümmert, dass er möglichst energieautark wird und dass sein Energieverbrauch möglichst günstig und nachhaltig ist. Dadurch hebt sich das Unternehmen von anderen Versorgern ab und der Wechselwille des Kunden sinkt enorm. Warum soll ich in Zukunft von meinem Energieversorger wechseln, wenn er mir diese Dienstleistung bietet?

Unseren Erfahrungen nach öffnen Kunden mindestens einmal täglich ihre Energiemanagement-App. Sie bauen damit ein neues positives Verhältnis zu ihrem Versorger auf, das in der Vergangenheit häufig nur durch einen einzigen Touchpoint geprägt war, nämlich die Rechnung. Das schafft ganz neue Kundenbindungen.

energate: Durch die Pflicht zu dynamischen Tarifen werden Apps und Energiemanagement aber langfristig sicher kein Alleinstellungsmerkmal bleiben.

Kathrin Rust: Da spielt dann das Drumherum eine Rolle, etwa die Vertrauenswürdigkeit des Energieversorgers. Versorger, die einen eigenen Energiehandel oder eigene Assets haben, können in Zukunft auch andere dynamische Tarife anbieten. Wenn sie zum Beispiel einen Windpark bauen, könnten sie ihren Kunden einen speziellen Windtarif oder für Anwohner niedrigere dynamische Netzentgelte anbieten. Zusätzlich sind Energiemanagementsysteme ja nicht nur die reine App, sondern wertvolle Datenlieferanten. Wer diese intelligent nutzt, kann sich weitere Alleinstellungsmerkmale schaffen.

energate: Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn man eine App für die Kunden kreiert?

Kathrin Rust: Usability und Flexibilität ist ganz wichtig. Der Kunde muss es einfach haben und viele Möglichkeiten, sich mit dem Thema Energie zu beschäftigen. Menschen, vor allem Prosumer, beschäftigen sich heute viel mehr mit dem Thema Energie als noch vor zehn Jahren. Schön sind daher viele Statistiken zur Erzeugung und zu Verbräuchen, sogar heruntergebrochen auf einzelne Geräte. Zudem brauchen die Systeme eine große Kompatibilität zu vielen verschiedenen Geräten wie Wallboxen oder Wärmepumpen.

energate: Für kleinere und mittlere Versorger tickt die Uhr – bis Anfang 2025 müssen Sie einen dynamischen Tarif auflegen. Was sollten sie dabei noch beachten?

Kathrin Rust: Kleinen und mittleren Unternehmen rate ich, sich auch nach White-Label-Lösungen umzuschauen. Man muss heute nicht mehr alles selbst machen, sondern kann auch in Ökosystemen denken. Dann habe ich einen schnellen Go-to-Market, kann meine Kunden zufriedenstellen und bleibe innovativ, ohne dass ich eigene Strukturen teuer aufbauen muss.

energate: Blicken wir mal auf die Verbraucher – welche Einsparungen lassen sich bei Prosumern alleine dadurch realisieren, dass sie ihre Geräte möglichst gut miteinander vernetzen?

Kathrin Rust: Ein gutes Energiemanagementsystem spart pro Jahr mindestens 1.000 bis 1.600 Euro, dadurch dass es Verbräuche in Zeiten schiebt, in denen die Solaranlage viel Strom liefert. Die genaue Höhe ist abhängig von den vorhandenen Geräten, insbesondere steuerbaren Großverbrauchern wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen. Durch dynamische Tarife ergeben sich noch höhere Einsparungen, Anbieter von solchen Tarifen reden von bis zu 40 Prozent Einsparung.

energate: Kurzfristige Einsparungen sind das eine. Auf der anderen Seite wünschen sich die Verbraucher, dass ihre Geräte möglichst lange möglichst reibungslos laufen. Wie wirkt sich das Energiemanagement aus Ihrer Sicht auf die Geräte aus?

Kathrin Rust: Das unterscheidet ein gutes Energiemanagement von einem schlechten. Ein Energiemanagementsystem sagt nicht einfach: Jetzt ist der Strom billig, jetzt lasse ich das Gerät laufen und kurz darauf, wenn der Strom wieder teurer wird, schalte ich es wieder ab. Stattdessen gibt es ganz viele Parameter, wie Mindestlaufzeiten, Einschalt- und Abschaltverzögerungen. Wir arbeiten hier sehr eng mit den Herstellern zusammen. Damit wird zum Beispiel sichergestellt, dass eine Wärmepumpe nicht ständig ein- und aus- geschaltet wird und dass sie auch pro Tag nicht länger läuft als sie sonst auch laufen würde. Ein gutes Energiemanagementsystem kennt die Geräte und deren Restriktionen. Es gibt Geräte, denen macht Ein- und Ausschalten nicht so viel aus. Eine Wärmepumpe mag es gar nicht.